The Concerned Nigerians
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22. Februar 2012
Reaktion der Concerned Nigerians e.V Kassel auf den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Frankfurt
Wir wären nicht menschlich, wenn wir nicht enttäuscht wären über die jüngste Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Verfahren gegen die Polizistin, die Christy Schwundeck erschossen hat, nicht zu eröffnen.
Wir hätten uns gewünscht, dass die Beschuldigte (die Polizistin), die Christy Schwundeck, geborene Omorodion, am 19. Mai 2011 im JobCenter Frankfurt erschossen hat, ein ordentliches Gerichtsverfahren erhalten hätte.
Statt dessen wurde befunden, dass sie in Notwehr gehandelt habe. Als Begründung wird angegeben, dass nach Auswertung aller Zeugenaussagen kein hinreichender Verdacht auf eine strafrechtliche Tat bestehe. Die Beschuldigte habe sich lediglich verteidigt im Sinne des Strafgesetzbuches. Demnach war die angebliche Selbstverteidigung notwendig aufgrund Christy`s unkontrolliertem Umgang mit einem Messer, das sie trotz Aufforderung der Polizistin nicht niederlegte. Die Handlung der Polizistin wird als angemessene Notwehrhandlung anerkannt.
Concerned Nigerians glaubt, dass die staatsanwaltliche Entscheidung, der Tathandlung sei nichts Rechtswidriges entgegenzusetzen, unzutreffend ist. Es wurde versäumt, die Verhältnismäßigkeit näher zu prüfen. Es gibt keine differenzierte Darlegung, warum die beschuldigte Polizistin nicht von einem milderen Mittel wie Warnschuss, Schuss ins Bein oder in den Arm, Gebrauch ihres Schlagstocks oder des Pfeffersprays gegen Christy Schwundeck einsetzte. Angesichts der Tatsache, dass zwei Polizisten, zwei interne Sicherheitsbeamte sowie mindestens ein Sachbearbeiter im Raum anwesend waren, stellen sich starke Zweifel darüber ein, dass es keine alternative Handlung gab, eine Dame mit einem Messer zu entwaffnen.
Deshalb empfinden wir den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft als eine Verhöhnung von Rechtsstaatlichkeit, einem fundamentalen Grundsatz jeglicher wahren Demokratie.
Unsere Fragen: Warum kein strafrechtliches Verfahren? Handelt es sich tatsächlich um eine Selbstverteidigungshandlung? Werden Polizei und Staatsanwaltschaft überhaupt den professionellen Anforderungen ihrer Funktion gerecht? Oder kam die Polizistin ungeschoren davon, weil Christy „nur“ schwarz war – und die Beschuldigte weiß?
Liegt bei Polizei und Staatsanwaltschaft institutionalisierter Rassismus vor, der zu unterschiedlichen Wertmaßstäben führt?
Institutionalisierter Rassismus wird definiert als “ die kollektive Betriebsstörung einer Organisation, um Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Kultur oder ethnischer Herkunft eine angemessene und professionelle Dienstleistung zukommen zu lassen“.
Nach unserer Auffassung lassen sich die handelnde Polizistin sowie die Staatsanwaltschaft unter diese Definition subsumieren. Aus diesem Grunde sehen wir vorliegend klar institutionalisierten Rassismus als gegeben an.
Polizei und Justizbehörden in Deutschland wurden weder Christy Schwundeck, ihren Familienmitgliedern, der Afrikanischen Gemeinschaft und auch anderen Opfern brutaler polizeilicher Gewalt gerecht. Wir glauben, dass man diese Art von rassistischen Zügen nicht nur in Christy`s Fall erkennen kann; viele Afrikaner ertragen institutionalisierten Rassismus durch Polizei- und Justizbehörden auf Deutschland`s Straßen tagtäglich.
Die hoheitliche Entscheidung, diese folgenschwere Tat nicht zu verfolgen, ist für uns nur eine weitere Indikation dafür, wie wenig die staatlichen Behörden afrikanische Mitbürger und ihr Recht auf Leben und Sicherheit wertschätzen.
Polizisten in ganz Deutschland werden die Tatsache, dass die Tötung eines/r Afrikaners/in zu keiner strafrechtlichen Verfolgung, erst recht nicht zur Verurteilung führt, feiern. Das Ergebnis der staatsanwaltlichen Entscheidung wird die teilweise üble Behandlung afrikanischer Mitbürger in Deutschland vergrößern. Solange die Polizei nicht konfrontiert wird mit der Möglichkeit von Bestrafung bis hin zu Gefängnisstrafen, wird es in Deutschland keine wirksame Abschreckung gegen schlechte Behandlung von Afrikanern durch Staatshand geben.
Der Beschuldigten wurde erst nach mehr als acht-monatiger Ermittlung eine Notwehr-Handlung bestätigt. Wir können keine klare Trennung von Verantwortung zwischen der handelnden Polizei und der ermittelnden Behörde erkennen – dies gilt es später zu klären.
Wir sind uns schmerzhaft bewusst, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind und uns immer noch im Kampf für mehr Grundrechte für Afrikaner und unser Recht, nicht weiterhin durch Polizei getötet oder brutal behandelt zu werden, befinden.
Dieser Kampf ist eine Aufgabe unserer Generation, diese Verantwortung bildet die Grundprinzipien und die Ideologie der „Concerned Nigerians“ sowie anderer Afrikanischer Organisationen.
Mit ihrer Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft weitere Hürden und Hindernisse gesetzt auf unserem Weg im Kampf für Gerechtigkeit für Christy, den wir von Beginn an verfolgt haben.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf unsere früheren Berichte über Christy`s Tod, in denen wir Stellungnahmen des Frankfurter Oberstaatsanwalt Bechtel zitieren, der bereits am 20. Mai 2011 „klare Notwehr“ indizierte (s. BILD v. 20. Mai 2011). Nach acht Monaten ist nun sein ad-hoc-Urteil durch die ermittelnde Behörde bestätigt…
Auch glauben wir, dass die Presse und die Medien niemals fair gegenüber unserer Schwester waren, da sie stets den Gewaltakt der Polizei zu decken schien, kritischer, investigativer Journalismus war nicht erkennbar. Ebenso sind wir beunruhigt über das Schweigen von Stadt- oder Landesvertretern. Bis heute haben sich weder die Oberbürgermeisterin, der Ministerpräsident oder der Polizeipräsident zu Wort gemeldet im Kontext von Christy`s Tod. Am Meisten beunruhigt uns allerdings die Passivität Afrikanischer Diplomaten und ihrer Behörden dann, wenn es um eine Schmähung von afrikanischen Landsleuten geht.
Solange die Obrigkeit und ihre Organe verweigern, konkrete Maßnahmen gegen Polizeigewalt mit Todesfolge gegen Afrikanische Mitbürger einzuleiten, werden wir laut auftreten, die Handlungen verdammen, wo notwendig auch demonstrieren und alle möglichen legale Wege beschreiten, damit Gerechtigkeit walte.
Wir möchten wiederholt betonen, dass dies der Weg ist, den wir stets proklamiert haben, damit alle Umstände, die zu Christy`s Tod geführt haben, vor einem Gericht dargelegt werden. Dies müssen wir erreichen durch eine Intensivierung der Partnerschaft mit der „Christy Schwundeck Initiative“ in Frankfurt.
Concerned Nigerians lobt ausdrücklich die Mühen und den Fortschritt, der bislang durch die Christy Schwundeck Initiative Frankfurt und die Afrikanische Gemeinde in Kassel in dieser Angelegenheit erzielt wurde. Wir bleiben verbunden mit der Arbeit der Initiative. Wir zählen auf gute afrikanische Brüder und Schwestern und Unterstützer Afrikas, die sich hinter die Initiative stellen, um den Fortschritt, der bereits gemacht wurde, noch zu vergrößern.
Christy`s Tod ist ein weiterer statistischer Fall in der Liste Afrikanischer Menschen, die durch Deutsche Polizisten getötet wurden, ohne einer juristischen Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Die Verantwortung von uns, den Lebenden, ist es, für Gerechtigkeit einzutreten und zu sagen: NIE WIEDER!
Oury Jalloh ist eines der Opfer polizeilicher Gewalt. Die Kampagne für Gerechtigkeit in seinem Sinne, die seitens seiner Freunde und des „Voice refugee forums“ geführt wird, ist wahrlich inspirierend für die Concerned Nigerians. Obwohl in den sieben langen Jahren der Oury Jalloh-Kampagne die Gerechtigkeit immer noch nicht gesiegt hat, konnte die Wahrheit über den institutionalisierten Rassismus in die Öffentlichkeit getragen werden.
Dennoch – als Concerned Nigerians versichern wir jedem, dass wir gemeinsam mit Eurer Unterstützung, Eurem unermüdlichen Einsatz und der Kampagne die Staatsanwaltschaft zu einer Wende in dieser Angelegenheit veranlassen werden.
Wir müssen uns alle unserer Verantwortung bewusst werden, für Sicherheit und Grundrechte zu kämpfen. Unser Bestreben gilt mit Blick auf Christy`s Tochter, ihren Familienmitgliedern und allen Afrikanern: Wir wollen sicherstellen, dass diesen wie jedem anderen Menschen rechtlicher Schutz gewährt wird.
Wir kommen zu dem Schluss, dass die Einlassung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar ist, sie wesentliche rechtliche Aspekte in Zusammenhang mit der Bewertung einer „Notwehrlage“ nicht berücksichtigt hat und die Herangehensweise rätselhaft bis nahezu primitiv anmutet.
Wir verdammen die Entscheidung, weisen sie zurück und werden gegen sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften vorgehen, bis dass die Schuldige zur Rechenschaft gezogen wird.
Wir bitten Euch, uns bei diesem Kurs zu unterstützen und Euch uns anzuschließen.
Gezeichnet
Concerned Nigerians e.V.